#LoveIsLove

Am Sonntag ist mal wieder etwas passiert. Ein US-Amerikaner beruft sich auf IS und die Waffengesetzgebung und tötet fast 50 Menschen in einem Club, in dem hauptsächlich LGBTI-Personen verkehren.

Seitdem ist viel Unfug gesagt und geschrieben worden, aber auch viel Kluges. Besonders bemerkenswert fand ich aber die Tatsache, dass in manchen der Öffentlichkeit Orlando überhaupt nicht stattfand. Warum? 50 Tote mit einem Täter, der sich auf eine gefürchtete, aber gut vermarktete Terrorganisation beruft, müssten doch alle Ausschlachter der Welt auf den Plan rufen. Eines meiner Beispiele dafür zeigt auch gleich einen Grund:

Screenshot 2016-06-14 14.57.32
Screenshot via Blendle. So sah es in den Zeitungsautomaten in Köln aus. Ich wollte es noch fotografieren, aber nachmittags waren alle Automaten in meiner Umgebung leer. Ausverkauft.

Es ist EM. Deutschland ist schwarzrotgeil und bekommt wieder nichts mit.

Das ist natürlich pauschalisiert und gemein. Denn sehr viele haben sich darüber aufgeregt, dass die UEFA Fernsehbilder hat, wie unser Bundestrainer das Amt beschädigt sein Geläut feinjustiert. In der Öffentlichkeit scheinen Jogis Eier wichtiger als das Leben von jungen Menschen, die dafür sterben mussten, weil sie lesbisch oder schwul sind.

Ist das so? Der von mir hoch geschätzte, im echten Leben zu selten getroffene Lukas Heinser stellte auf Facebook die Frage, die mich zum Nachdenken brachte: Warum nämlich seine Facebook-Freunde, die im bei den Anschlägen in Paris ihr Profilbild geändert, das nun nicht getan hätten. Ob fehlende Identifikation dahinter stünde. Auch in meinem Facebook-Freundeskreis bin ich fast der Einzige, der sein Profilbild geändert hat. Ich habe das relativ intuitiv gemacht, weil es mir eben wichtig war. Nach den Anschlägen von Paris habe ich mich gegen die Trikolore oder den Eiffelturm entschieden, sondern Fotos verwendet, die ich selbst in Paris geschossen habe. Weil ich Paris für ein ganz tolle Stadt halte, in der ich mich sehr wohl gefühlt habe. Weil die Anschlagsorte sehr nah der Wohnung, in der wir gewohnt haben, lagen. Ich habe Probleme mit den Profilbildänderung, weil ich schnell gesehen habe, dass zum Beispiel das „Je suis Charlie“ nicht nur genutzt wurde, um Verbundenheit mit den Opfern auszudrücken, sondern auch von Leute verwendet wurde, die damit ausgrenzen wollten. Je suis Charlie war schnell zum Statement gegen den Islam generell geworden.

Wenn ich nun Lemmy oder David Bowie im Profilbild habe, bin im schlimmsten Fall ein Aufschneider, der dazugehören will (Ich liebe die Musik von Motörhead seit 1990, finde Lemmy aber nicht so weise, wie alle, die höchstens einmal „Ace of Base Spades gehört haben. Und das mit dem Gesichtsausdruck eines Kindes, das zum ersten Mal einen schwarzen Kaffee trinkt.). Lemmy im Profilbild grenzt höchstens Revolverheld aus.

Die Regenbogenfahne grenzt niemanden aus. Im Gegenteil: Sie soll auf die Ausgrenzung vieler Menschen aufmerksam machen. Und deshalb habe ich mich dafür entschieden. Natürlich kann man das Slacktivism nennen: „Höh, jetzt machen das wieder alle.“ – „Davon wird es auch nicht besser.“ Ich halte das für falsch. Wenn es wirklich alle machen würde, gäbe es keine Ausgrenzung mehr. Vielleicht ist es nicht viel, aber es ist immerhin etwas.

Seien wir ehrlich. Die Heterosexuellen – und auch wenn das Denken in „Wir“ und „Die“ immer schuld ist: – Wir Heterosexuellen haben die Pflicht etwas zu tun. Wenn Minderheiten von Mehrheiten verfolgt werden, können nur die Mehrheiten diese Verfolgungen beenden. Die Minderheiten können höchstens auf die Missstände hinweisen. Wir haben aber die Pflicht, auf die Minderheiten zu hören und ihre Demonstrationen nicht als schrill und aufdringlich abzutun. Ins Stammbuch schreibt uns das sehr eindringlich Johannes Kram. Der seinen Aufruf an uns mit den Worten einleitet:

Es trifft (erst Recht, wenn Ihr Leser dieses Blogs seid) wahrscheinlich zum Großteil die Falschen, und dann tut mir das leid (und wenn das so ist, dann schickt den Link doch einfach an jemanden, der ihn gebrauchen kann)

Nein. Es trifft nicht die Falschen. Es ist genau richtig, dass auch den Allies immer wieder wieder vor Augen gehalten wird: Nur weil es hier besser ist als vor 20 Jahren war, heißt es nicht, dass es gut ist. Wir haben immer noch eine Kanzlerin mit Bauchschmerzen. Die nicht ausspricht, gegen welche Minderheit dieser Anschlag gerichtet war. Eine Kanzlerin, die vielen in diesem Land noch zu weltoffen ist. Und so lange ist hier nichts gut.

Wenn der Mensch eines von einem Gott oder der Evolution geschenkt bekommen hat, dann die Fähigkeit über sich zu reflektieren. Und das über das Niveau „Wenn ich meinen Finger in diese Felsspalte stecke, bekomme ich sie vermutlich nicht unversehrt wieder.“ hinaus. Und man könnte jetzt etwas Salbungsvolles sagen wie: „Wenn etwas an so schlimmen Vorfällen positiv ist, dann dass wir angefangen haben nachzudenken.“ Aber das wäre falsch. Es gibt nichts Positives am Tod so vieler Menschen. Wir haben lange genug nachgedacht. Zumindest hatten wir lange genug Zeit nachzudenken. Denn Denken allein reicht nicht (und das sei denen gesagt, die meinen, Bildung wäre alles.)! Denken allein hat uns nicht vor Krieg, The Boss Hoss und Audis auf der Autobahn bewahrt.


Diesen Text habe ich gestern, am 15. Juni 2016, geschrieben und war kreuzunglücklich damit. Er war zwar irgendwie rund, aber 800 Wörter rundzulutschen, halte ich für keine große Leistung. Er war mir viel zu pathetisch und an der Oberfläche. Und das ist er meines Erachtens immer noch.

Aber nachdem ich jetzt einmal darüber geschlafen habe, kann ich doch damit leben. Denn es ist mein Beitrag zu dem Thema. Ich möchte allen Lesben, Schwulen, Transgender-Menschen, vor allem denen in meinem Freundeskreis damit sagen: Es geht mich etwas an, wie ihr behandelt werdet. Ich möchte nicht, dass eure Belange als Selbstverständlichkeiten abgehandelt unter den Tisch fallen. Ich muss, Gott sei Dank/hoffentlich, euer Leben nicht mit meinem verteidigen.  Aber ich werde alles tun, um euch zu unterstützen. Und wenn es nur das Verfassen eines dürftigen, pathetischen Blogartikels ist. Meine Bitte wäre: Erinnert uns, erinnert mich an dieses Versprechen. Seid laut, seid schrill, seid, was ihr sein wollt. Keep on dancing.

 

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